TelefonSeelsorge: „Wir haben mehr Anfragen als Kapazitäten“

„Unser Anspruch ist es, rund um die Uhr für die Menschen da zu sein“, sagt Pfarrerin Dr. Dorit Felsch. Dafür braucht es neue Ehrenamtliche, wie die Leiterin der Evangelischen TelefonSeelsorge Köln im Interview verdeutlicht. Dabei weiß sie auch, wie gewinnbringend ein solches Ehrenamt sein kann.

Frau Felsch, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation und Energiekrise: Wie groß ist der Bedarf an Seelsorge?

Dorit Felsch: Wir haben ein wahnsinnig hohes Aufkommen an Anrufen, E-Mails und Chat-Nachrichten. Das ist aber nicht erst seit der Corona-Pandemie so. Auch davor hatten wir schon mehr Anfragen als Kapazitäten. Das tut uns natürlich in der Seele weh. Denn unser Anspruch ist es, für die Menschen da zu sein. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Und das sind wir, auch wenn sich das subjektiv für manche Menschen anders anfühlt, weil sie nicht direkt durchkommen. In diesen Momenten sind wir jedoch für andere Menschen da. Deshalb ermutigen wir immer wieder, es mehrmals zu probieren – wenn möglich auf den verschiedenen Kanälen. Gerade per E-Mail kann man sich seine Sorgen schon mal von der Seele schreiben. Und wir versprechen, innerhalb von 72 Stunden zu antworten. Uns ist natürlich bewusst, dass es in Krisensituationen ätzend ist, es mehrmals probieren zu müssen. Denn die Kontaktaufnahme kostet Kraft und Überwindung.

Lassen sich aus dem großen Bedarf auch gesteigerte Ängste und Sorgen schließen?

Felsch: Zahlenmäßig ist es gar nicht so viel mehr als früher. Während der Hauptcoronazeit haben wir aber gemerkt, dass all die Themen, die vorher schon da waren, wie durch ein Brennglas verschärft wurden. Vorhandene Konflikte wurden noch schlimmer, Ängste und Einsamkeit noch stärker. Die Inhalte der Gespräche und Online-Kontakte wurden zudem deutlich intensiver und krasser. Das sagen uns die Ehrenamtlichen immer wieder.

Pfarrerin Dr. Dorit Felsch ist die Leiterin der Evangelischen TelefonSeelsorge Köln.
Pfarrerin Dr. Dorit Felsch (Foto: Evangelische TelefonSeelsorge Köln)

Apropos Ehrenamtliche: Wie ist die Situation hier?

Felsch: Durch die vielen Kontaktaufnahmen haben wir natürlich einen großen Bedarf. Denn wir wollen so gut wie möglich für die Menschen erreichbar sein. Bei der Evangelischen TelefonSeelsorge Köln haben wir beispielsweise 2021 eine zweite Leitung eröffnet, die nun zeitweise zusätzlich besetzt ist. Dafür brauchen wir natürlich neue Ehrenamtliche. Im vergangenen Jahr hatten wir bei der Kölner TelefonSeelsorge zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht genügend Bewerbungen für unseren Ausbildungskurs. Das gilt auch für einige andere TelefonSeelsorge-Stellen der Evangelischen Kirche im Rheinland. Nachdem wir noch mal intensiv Werbung gemacht haben, konnten wir in Köln dann glücklicherweise im Januar einen Kurs beginnen. Sonst starten wir im Herbst. Ob die wenigen Bewerbungen 2022 ein Ausreißer waren oder jetzt eine Serie beginnt, müssen wir abwarten. Die Situation an anderen Orten der TelefonSeelsorge ist grundsätzlich ähnlich wie bei uns in Köln.

Ist es denn allein mit neuen Ehrenamtlichen getan?

Felsch: Auf jeden Fall brauchen wir mehr Ehrenamtliche, um die Nachfrage bedienen zu können. Gleichzeitig müssen jedoch die Rahmenbedingungen mitwachsen. Das bedeutet, wir brauchen unter anderem mehr Budget und mehr hauptamtlich Mitarbeitende. Ich habe 2017 in Köln mit 56 Ehrenamtlichen angefangen. Mittlerweile bin ich verantwortlich für 92 Ehrenamtliche. Es gilt also auch, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Ehrenamtliche gut betreut und weiterqualifiziert werden können.

Angenommen, ich möchte mich bei der TelefonSeelsorge engagieren. Wohin wende ich mich dann?

Felsch: Alle TelefonSeelsorge-Stellen der Evangelischen Kirche im Rheinland haben eine eigene Homepage. Es ist also sinnvoll, online nach der nächstgelegenen Stelle zu suchen. Auf den Homepages finden Interessierte Kontaktdaten und Infos zum Bewerbungsprozess. Denn jeder, der mithelfen möchte, muss die rund einjährige Ausbildung zur Telefonseelsorgerin beziehungsweise zum Telefonseelsorger absolvieren. Die Ausbildung ist natürlich kostenfrei. Die Kurse finden abends und am Wochenende statt. Und ganz wichtig: Die Ausbildung ist für alle Menschen offen – unabhängig von der Konfession oder Herkunft.

Warum lohnt es sich, bei der TelefonSeelsorge zu arbeiten?

Felsch: Erstens ist es etwas absolut Sinnstiftendes. Wer nach dem Dienst nach Hause geht, weiß: „Ich habe in den vergangenen Stunden etwas total Sinnvolles getan.“ Das hat man sonst selten so klar in seinem Leben. Zweitens hat man intensive Begegnungen mit Menschen. Die Ehrenamtlichen lernen Lebensgeschichten kennen, denen sie in ihrem Alltag eher selten begegnen. Die Arbeit ermöglicht somit einen Blick über den eigenen Horizont hinaus. Und drittens gibt es zwischen den Ehrenamtlichen eine tolle Gemeinschaft. Angefangen bei der Ausbildung über Fortbildungen und Supervision bis hin zu Festen, die zusammen gefeiert werden. Dabei spielen auch spirituelle Angebote eine Rolle.

Video #seelsorgeistda mit einem Einblick in die Arbeit der TelefonSeelsorge (ab 9:45 Minuten):

  • 15.2.2023
  • Andreas Attinger
  • Red